Costa Rica
Über Puerto Cortés ging ein sintflutartiger Wolkenbruch nieder. Regen trommelte auf das Dach der kleinen Metallhütte neben dem Rollfeld. Tropfnaß stand Thorne da und wartete, während der costaricanische Grenzbeamte immer und immer wieder die Papiere prüfte. Rodriguez war sein Name, und er war nichts als ein Junge Anfang 20, der eine schlecht sitzende Uniform trug und eine Heidenangst hatte, einen Fehler zu machen.
Thorne sah zum Rollfeld hinüber, wo im weichen Licht der Morgendämmerung die Frachtcontainer unter den Bäuchen von zwei großen Huey-Helikoptern befestigt wurden. Eddie Carr stand zusammen mit Malcolm dort draußen im Regen und überwachte schreiend und gestikulierend die Sicherung der Container.
Rodriguez blätterte in den Papieren. »Nun Señor, diesen Unterlagen zufolge ist Ihr Ziel Isla Sorna …«
»Das stimmt.«
»Und Ihre Container enthalten nur Fahrzeuge?«
»Korrekt, ja. Expeditionsfahrzeuge.«
»Sorna ist ein sehr primitiver Ort. Es gibt kein Benzin, keine Vorräte, nicht einmal nennenswerte Straßen …«
»Waren Sie schon mal dort?«
»Ich selbst noch nicht, nein. Die Leute hier haben kein Interesse an dieser Insel. Es ist sehr wild dort, nur Fels und Dschungel. Und es gibt keine Anlegestelle für Boote, außer unter ganz besonderen Wetterbedingungen. Heute zum Beispiel können Sie nicht hinfahren.«
»Verstehe«, sagte Thorne.
»Ich möchte nur«, sagte Rodriguez, »daß Sie vorbereitet sind auf die Schwierigkeiten, die Sie dort erwarten.«
»Ich glaube, wir sind vorbereitet.«
»Haben Sie ausreichend Treibstoff für Ihre Fahrzeuge dabei?«
Thorne seufzte. Warum sich mit umständlichen Erklärungen aufhalten. »Ja, das haben wir.«
»Und Sie sind nur zu dritt – Dr. Malcolm, Sie selbst und Ihr Assistent, Señor Carr?«
»Korrekt.«
»Und Ihr geplanter Aufenthalt beträgt weniger als eine Woche?«
»Das stimmt. Eher nur zwei Tage. Wenn wir Glück haben, werden wir die Insel irgendwann morgen schon wieder verlassen.«
Rodriguez blätterte noch einmal in den Papieren, als suche er nach einem verborgenen Hinweis. »Nun …«
»Gibt es ein Problem?« fragte Thorne und sah auf die Uhr.
»Kein Problem, Señor. Ihre Genehmigungen sind vom Generaldirektor der Naturreservate unterzeichnet. Sie sind in Ordnung …« Rodriguez zögerte. »Aber es ist sehr ungewöhnlich, daß eine solche Erlaubnis überhaupt erteilt wird.«
»Warum das?«
»Ich kenne die Einzelheiten nicht, aber vor ein paar Jahren gab es auf einer dieser Inseln ein paar Probleme, und seitdem haben die Behörden alle Pazifikinseln für Touristen gesperrt.«
»Wir sind keine Touristen«, sagte Thorne.
»Das weiß ich, Señor Thorne.«
Und wieder stöberte er in den Papieren.
Thorne wartete.
Draußen auf dem Rollfeld waren die Container inzwischen an den Hubschraubern befestigt, die Rotorblätter begannen sich zu drehen.
»Nun gut, Señor Thorne«, sagte Rodriguez schließlich und stempelte die Papiere. »Ich wünsche Ihnen viel Glück.«
»Danke«, sagte Thorne. Er steckte sich die Papiere in die Tasche,« schlug den Kragen hoch und lief zum Rollfeld.
Drei Meilen vor der Küste stießen die Hubschrauber durch die Wolkendecke über dem Festland ins frühmorgendliche Sonnenlicht. Vom Cockpit des ersten Huey aus hatte Thorne einen Blick über die ganze Küste. Fünf Inseln lagen in unterschiedlicher Entfernung davor – schroffe Felsnadeln in einem stürmischen blauen Meer. Die Distanz zwischen den einzelnen Inseln betrug jeweils einige Meilen; zweifellos handelte es sich um Teile einer alten vulkanischen Kette.
Er drückte die Sprechtaste. »Welche ist Sorna?«
Der Pilot deutete nach vorne. »Wir nennen Sie ›Die fünf Todesarten‹«, sagte er. »Isla Muerte, Isla Matanceros, Isla Pena, Isla Tacaño und Isla Sorna, ganz im Norden.«
»Waren Sie schon mal dort?«
»Noch nie, Señor. Aber ich bin mir sicher, daß es dort einen Landeplatz gibt.«
»Woher wissen Sie das?«
»Vor ein paar Jahren gab es ein paar Flüge dorthin. Ich habe gehört, daß Amerikaner sich manchmal hinfliegen ließen.«
»Keine Deutschen?«
»Nein, nein. Deutsche waren nicht mehr hier seit … ich weiß auch nicht. Seit dem Weltkrieg. Die gekommen sind, waren Amerikaner.«
»Und wann war das?«
»Ich bin mir nicht sicher. Vor zehn Jahren vielleicht.«
Der Hubschrauber schwenkte nach Norden und überflog die nächstliegende Insel. Thorne sah zerklüftetes vulkanisches Terrain, von dichtem Dschungel überwuchert. Spuren von Leben oder gar von menschlichen Behausungen waren nirgends zu entdecken.
»Für die Einheimischen hier sind diese Inseln keine glücklichen Orte«, sagte der Pilot. »Sie sagen, daß von dort nichts Gutes kommt.« Er lächelte. »Aber sie wissen ja nichts. Sie sind abergläubische Indianer.«
Sie überflogen jetzt wieder offenes Meer, Isla Sorna lag direkt vor ihnen. Es war unverkennbar ein alter Vulkankrater: nackte, rötlich graue Felswände, ein erodierter Kegel.
»Wo landen die Boote?«
Der Pilot deutete auf eine Stelle, wo das wogende Meer gegen die Klippen krachte. »Auf der Ostseite der Insel gibt es viele von den Wellen ausgewaschene Höhlen. Einige der Einheimischen nennen sie deshalb auch Isla Gemido. Das heißt ›Insel des Stöhnens‹, nach dem Geräusch, das die Wellen in den Höhlen machen. Einige der Höhlen reichen bis ins Inselinnere, und zu gewissen Zeiten kann man mit dem Boot durchfahren. Aber nicht bei Wetter, wie wir es jetzt haben.«
Thorne dachte an Sarah Harding. Wenn sie kam, würde sie später an diesem Tag landen. »Es kann sein, daß heute nachmittag noch eine Kollegin von mir kommt«, sagte er. »Können Sie sie herbringen?«
»Tut mir leid«, sagte der Pilot. »Wir haben anschließend einen Auftrag in Golfo Juan. Wir kommen erst heute abend zurück.«
»Was kann sie dann tun?«
Der Pilot spähte aufs Wasser hinunter. »Vielleicht kann sie ja mit dem Boot kommen. Das Meer ändert sich stündlich. Vielleicht hat sie Glück.«
»Aber Sie holen uns morgen wieder ab?«
»Ja, Señor Thorne. In den frühen Morgenstunden. Das ist die beste Zeit, wegen des Windes.«
Der Hubschrauber näherte sich der Insel von Westen, stieg dann einige hundert Fuß und flog über die Felsklippen ins Innere von Isla Gemido. Sie sah aus wie die anderen: Vulkanische Grate und Schluchten, überwuchert von dichtem Dschungel. Aus der Luft sah das alles sehr schön aus, aber Thorne wußte, daß das Vorwärtskommen in diesem Terrain äußerst schwierig sein würde. Er starrte nach unten und suchte nach Straßen.
Im Tiefflug umkreiste der Hubschrauber die Mitte der Insel. Thorne konnte weder Gebäude noch Straßen entdecken. Der Dschungel kam immer näher. Der Pilot sagte: »Wegen der Klippen ist der Wind hier ziemlich schlimm. Viele Böen und Aufwinde. Es gibt auf der ganzen Insel nur eine Stelle, wo man sicher landen kann.« Er spähte zum Fenster hinaus. »Ah ja. Da.« Thorne sah eine von hohem Gras überwucherte Lichtung.
»Hier landen wir«, sagte der Pilot.